Ich schreibe, damit ich nicht schreien muss. Ich schreibe, weil ich entsetzt beobachte, wie Menschen scheinbar mit den besten Absichten den Staat in Schutz nehmen, in dem ich aufgewachsen bin – den Staat und seine tödliche Politik, wegen der ich mir dort keine Zukunft mehr vorstellen konnte oder kann. Ich schreibe, weil ich gegen diese Politik aus Liebe und Sorge kämpfe.
Meine Position war nicht immer die, die ich jetzt vertrete. Ich bin wie praktisch alle jungen jüdischen Israelis im Glauben erzogen worden, dass wir unser Leben dem Staat Israel schulden – und zwar in beiden Bedeutungen. Sprich erstens, dass wir unsere Existenz dem Staat verdanken müssen, und zweitens, dass wir bereit sein sollten, unsere Existenz für ebendiesen Staat zu opfern.
Ich kann nicht leugnen, dass es mich ohne diesen Staat gar nicht gäbe: Meine Eltern haben sich in seinem Militär ja kennengelernt, meine Mutter ist als Mädchen mit ihrer Familie in diesen Staat gezogen, weil er damals, 1968, ihnen viel versprach.
Aber ich habe fast immer bezweifelt, dass ich bereit sein sollte, mein Leben für den Staat Israel zu opfern.
Leben und Tod, das muss man sagen, sind im Staat Israel und den Gebieten unter seiner Kontrolle immer im Spiel. Für Menschen, die in Frieden aufgewachsen sind, ist das, glaube ich, oft schwer zu begreifen. Für meine Generation, die während der blutigen zweiten Intifada Anfang der 2000er noch in der Schule war, war das einfach Teil des Alltags. Ich sollte nicht mehr selbständig per Bus in die Mittelschule fahren, sondern gefahren werden, weil Busse in Jerusalem zu jener Zeit oft bombardiert wurden (und weil meine Eltern sich das zeitlich und materiell leisten konnten.)
Als Jugendlicher hatte ich den Eindruck, dass der blutige Kreislauf des „Konflikts“ einfach nie endet, und ich wollte nicht mein Leben daran verlieren – ob physisch oder in dem Sinne, dass ich mein Leben dem Kampf für den Frieden widmen und opfern sollte. Das war die größte Motivation dafür, dass ich mit 19 ausgewandert bin.
Schon damals hat es mich aber beschäftigt, und das immer mehr, wieso es diesen endlosen Kreislauf von Gewalt dort zu geben scheint, und ob er doch irgendwie lösbar ist. Das ist die Motivation, die mich erst bewegt hat, mich tiefer zu informieren und meine Meinung zu entwickeln, und letztes Ende auch dazu führte, dass ich 2012 zurück nach Israel zog, um dort an den Kämpfen vor Ort teilzunehmen.
Über Jahre hinweg habe ich mich über verschiedene Quellen informiert und gelernt, was für ein Zerrbild der Gegenwart sowie der Geschichte mir in der Schule und in den gängigen Medien in Israel präsentiert wurde – ein Zerrbild, das auch gerne international reproduziert wird. Um die komplette Situation zu verstehen musste ich, erst krampfhaft, auch palästinensischen Positionen zuhören – sonst könnte ich nie begreifen, warum so viele Menschen Positionen vertreten, die mir ganz fremd und extrem vorkamen.
Die frühen Zionisten haben es schon gewusst
Mit der Zeit habe ich das verstanden, was eigentlich den führenden Figuren in den Entstehungsjahren des Staates Israel – von Ben-Gurion und Dayan bis zu ihrem Erzfeind Jabotinsky – immer klar war: Dieser Staat beruht auf der Vertreibung und gewalttätigen Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung, und man kann von letzteren nicht erwarten, ihren Widerstand einfach aufzugeben.
Der Revisionist (d.h. rechter Nationalist) Jabotinsky hat beispielsweise geglaubt, dass man erst jahrzehntelang mit eiserner Faust die jüdische Dominanz etablieren müsste – dass dann aber der palästinensische Widerstand und die Unwilligkeit der Nachbarländer nachlassen würden und ein Frieden auf Basis der Macht entstehen könnte.
Dayan hat 1956 auf der Beerdigung eines Soldaten anerkannt, dass wir nicht erwarten können, dass die Palästinenser:innen ihre Vertreibung vergessen und verzeihen, während sie noch in Flüchtlingslagern verweilen.
Diese Figuren, die für mich als gefährliche gewaltverehrende Nationalisten gelten, konnten einfach keine Alternative akzeptieren, außer einer absoluten jüdische Dominanz auf diesem Fleck Land – und waren bereit, dafür das ständige Kämpfen in Kauf zu nehmen.
Meine Generation wurde schon anders erzogen. Zumindest in meiner Kindheit in den hoffnungsvollen 90ern. Uns wurde versprochen, dass wir als normale Menschen in Frieden leben können würden.
Nur hat noch die gewalttätige Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung angehalten, vor allem in den besetzten Gebieten aber auch, wie im Oktober 2000, im offiziellen Staatsgebiet, wo die Palästinenser:innen israelische Staatsbürger sind. Und wo es gewalttätige Unterdrückung gibt, gibt es auch Widerstand, mitunter gewalttätigen.
Um 1967 sah es noch so aus, als könnte das anders werden. Erst sieben Monate vor dem Sechs-Tage-Krieg wurden die Palästinenser:innen mit israelischer Staatsbürgerschaft vom Kriegsrecht befreit. Für sieben Monate gab es keine wesentliche Minderheit unter israelischem Kriegsrecht.
Aber die Entscheidung, das Westjordanland und den Gazastreifen zu behalten und zu besetzen, hat diese Zeit beendet – und damit die Hoffnung auf Frieden, was aber selbst 40 Jahre später nicht allen klar war.
Doch einige haben es sofort erkannt. In einem berühmten Inserat hat die sozialistische Organisation Matzpen gewarnt:
“Das Recht, uns gegen Vernichtung zu wehren, gibt uns nicht das Recht, andere zu unterdrücken. Besatzung führt zu Fremdherrschaft, das führt zu Widerstand, das führt zu Unterdrückung, diese zu Terror und Gegenterror. Die Opfer von Terror sind oft unschuldige Menschen. Wenn die besetzten Gebiete gehalten werden, werden wir uns in ein Volk von Mördern und Ermordeten verwandeln. – Raus aus den besetzten Gebieten – jetzt!”
Matzpen, Ha’aretz, 22.09.1967
Mein Verständnis der Situation ist also keineswegs etwas Neues, selbst wenn ich persönlich erst durch jahrelanges Lernen und Reflektieren dort angekommen bin. Doch heißt es letzten Endes, dass ich als Ursache auch meines Leidens als Israeli, als Ursache der Aussichtslosigkeit in meinem Heimatland, die Handlungen des Staates Israel selbst erkennen muss.
Wie kann es weiter gehen?
Ich kann natürlich nichts damit anfangen, wenn jemand als „Lösung“ die Ausrottung der jüdischen Gesellschaft zwischen Fluss und Meer vorschlägt. Doch muss ich feststellen, dass dies oft an falscher Stelle unterstellt wird. Das Ende des Staates Israel wie wir ihn kennen – als Staat eines Volkes, der über zwei Völker herrscht – ist nicht mit dem Ende der Existenz seiner herrschenden Bevölkerungsgruppe gleichzusetzen.
Ich muss feststellen, dass es nur eine Zukunft für die Gesellschaft gibt, in der ich aufgewachsen bin, wenn diese die Unterdrückung der palästinensischen Gesellschaft aufgibt.
Ich mache mir große Sorgen, wenn Netanjahu offen sagt, dass wir für immer mit der Waffe in der Hand leben müssen (im Hebräischen wortwörtlich, ach so poetisch, „wir werden immer das Schwert essen“) und weiterhin die Unterstützung einer großen Masse gewinnt – und sich von einer immer größeren Masse sogar von rechts flankiert sieht.
Offenbar können sich die meisten meiner Landsleute nichts anderes vorstellen, als immer zu kämpfen, immer zu unterdrücken, immer mit Widerstand konfrontiert zu werden. Manche stellen sich einen Genozid gegen „die Araber“ als Lösung vor – immer noch eine Minderheit, aber eine die viel zu schnell wächst und in den letzten zwei Jahren zu wichtigen politischen Partnern von Netanyahu und dadurch regierungstauglich geworden sind.
Doch ich halte keine andere Position für vertretbar als zu sagen, dass der Kreislauf der Gewalt in den Händen des Staats Israels liegt, als militärische, diplomatische, und ökonomische Übermacht von den zwei Seiten – und dass wir als Israelis uns nicht das Ziel setzen können, für immer zu kämpfen. Solch eine Zukunft kann man sich doch nicht wünschen.
Der einzige akzeptable Ausweg ist das Zusammenleben mit den Palästinenser:innen.
Der einzige Weg, der dahinführt, ist der gemeinsame Kampf gegen die dominanten Kräfte, die auf ewigen Krieg setzen.
Je schneller wir Israelis die Unterdrückung als Lebensgrundlage aufgeben, je mehr wir uns Alternativen widmen, desto besser sind die Chancen, dass am Ende des Kreislaufs noch etwas übrig ist, was lebenswürdig ist – auch für die jüdische Gesellschaft im „gelobten Land.“