Nachtrag: Kann man doch nicht links-zionistisch sein?

In diesem Text möchte ich auf einen Einwand eingehen, der mehrmals in Antwort auf meinen vorherigen Text zur Auswirkung „antideutscher“ Politik auf linke Juden in Deutschland. Und zwar haben einige darauf hingewiesen, dass es in Israel doch eine „zionistische Linke“ gibt, sodass man nicht wirklich zwischen links und zionistisch wählen muss, wie von meinem Text zu verstehen war.

Bevor ich tiefer reinspringe möchte ich mich im Voraus dafür entschuldigen, dass dieser Text wahrscheinlich weniger korrektes bzw. schönes Deutsch verwenden wird, da ich den schnell rausbringen möchte und den nicht von Muttersprachlern im Voraus anschauen lasse, wie ich es mit dem vorherigen Text gemacht habe. Nach wie vor sind inhaltlich sowie sprachliche kommentare herzlich wilkommen. Ich lerne von meinen eigenen Fehlern und begrüße Hinweise darauf!

Worum es hier eigentlich geht

Ich will die Spannung nicht allzu lange halten, also schonmal vorab: natürlich kenne ich die „zionistische Linke“, ich bin sogar darin groß geworden. Ich bin aber der Meinung, dass es jedoch keine zionistische Linke gibt, sogar keine geben kann. Dieser Begriff ist, meiner Meinung nach, eine Fehlbezeichnung, und auf die werde ich gleich eingehen.

Allerdings muss ich vorerst klar machen, warum ich das im vorherigen Text nicht erwähnt habe. In jenem Text sollte es weder um politische Labels gehen, noch um spezifische ideologische Strömungen. Vielmehr ging es mir darum, was einem∗r Israeli∗n mit einer kritischen Haltung erwartet, wenn er∗sie in einer linken Szene ankommt, die durch antideutsche ideologie geprägt ist.

Und in dem Punkt ist es fast egal, ob man in Israel echt zur radikalen antizionistischen Linke gehörte, zur moderateren „post-zionistischen“, oder eben zur sogenannten „zionistischen Linke“. Denn all diese Strömungen üben im Rahmen des israelischen politischen Diskurses sehr scharfe Kritik am israelischen Regime aus, oder zumindest an seiner Politik in den palästinensischen Gebieten — Kritik die aus einer undifferenzierten antideutschen Perspektive allzu einfach als „antisemitisch“ abgetan werden kann.

Die zweideutigkeit von „Links“

Die Fehlbezeichnung von manchen politischen Strömungen in Israel heutzutage als „zionistische Linke“ liegt meines Erachtens unter anderem an einer Zweideutigkeit des Begriffs „links“. Die zwei Bedeutungen dieses Begriffs bezeichne ich mal als „relativ links“ und „ideologisch links“. Um wieder die Spannung gleich zu brechen — ich würde behaupten, es gibt eine relativ-linke Strömung im Zionismus, aber keine ideologisch-linke (oder kaum, bzw. keine kohärente — darauf gehe ich nachher noch ein.)

Was meine ich mit „relativ links“? Nun, wenn man sich die Politik als Linie zwischen „ganz weit links“ und „ganz weit rechts“ vorstellt, kann fast jede Position „relativ links“ stehen.

Wenn zum Beispiel eine Gruppe von mächtigen Aliens sich politisch auseinandersetzt, ob man die Menschheit vernichten sollte, oder sich doch lieber ein paar hundert Menschen für wissenschaftliche Zwecke aufhebt, kann letztere Position als „links“ gelten, oder auch „weniger rechts“. Oder etwas realitätsnäher — wenn man als Linker in Europa die US-amerikanische Politik betrachtet, sieht man zwei Großparteien die alle beide definitiv nicht links sind. Allerdings gilt die demokratische Partei in letzten Jahrzenten als „links“ im Vergleich mit der (bestenfalls) rechtskonservativen republikanischen Partei.

Ideologisch links ist schonmal was ganz anders. Da geht es nicht um die relative Stellung im einzelnen politischen Feld, sondern um die linke politische Tradition, die ihre Wurzeln sowie ihren Namen, soweit ich weiß, in der Zeit der französischen Revolution findet. Links ist in diesem Sinne ein anderer Name vom Sozialismus im weitesten Sinne — egal ob anarchistisch, marxistisch, oder irgendeine andere Bewegung die eben auch gegen Kapitalismus und für irgendeine Art von Kollektivbesitz der Produktionsmittel kämpft.

Der linke Flügel einer rechten Bewegung reicht höchstens in die Mitte

Jetzt ist vielleicht schon klar — in meinem vorherigen Beitrag ging es mir um letztere, ideologische Linke, und nicht um die „relative Linke“. Denn in Israel, so ähnlich wie in den USA, sind Rechtskonservative eine sehr große Macht in der Politik, während Sozialisten ganz marginal bleiben. Entsprechend werden Parteien der liberalen Mitte als „links“ bezeichnet.

Dies gilt jedefnalls in letzten Jahrzenten, wenn man betrachtet, was die Parteien, die als „zionistische Linke“ gelten, eigentlich so für ein Programm haben. Mit der ideologischen, also sozialistischen, Linke, hat das so gut wie gar nichts zu tun. Die Arbeitspartei (ha-Awoda) bezeichnet sich gerne als Zionistisch, nicht immer so gerne als links. Und ihr Programm ist neoliberal mit mäßigen sozialen Maßnahmen und eine Neigung zur besseren Integration nichtjüdischen Staatsbürger∗innen in einem Staat der jedoch durchgehend jüdischer Nationalstaat sein sollte. Linken sollten damit ein paar Probleme haben.

Mit Meretz kann man als Linke∗r eher was anfangen. Die Kernideologie dieser Partei heutzutage ist linksliberal, und da sind tatsächlich viele Unterstützer und Aktive dabei, die eindeutig ideologisch links sind — aber diese bezeichnen sich wiederum tendenziell nicht als Zionist∗innen. Die Partei selbst trägt dieses Label nicht (oder nicht mehr) von sich aus, selbst wenn sie meistens so eingeordnet wird. Es gibt viel Spannung um dieses Thema in Meretz, und die Partei könnte sich durchaus in nächsten Jahren zwischen Zionisten und Linken glatt spalten. Eine kohärente „zionistischen Linke“ lässt sich da nicht wirklich finden.

Entsprechend finde ich die Bezeichnung der sogenannten „zionistischen Linke“ als „linker Zionismus“ (hebr. ציונות שמאלית) eher zutreffend — das ist keine zionistische Strömung der Linken, sondern der (relativ) linkere Flügel der zionistischen Bewegung.

Der linke Flügel einer rechten Bewegung reicht allerdings höchstens in die Mitte hinein! Rechts bleibt er trotzdem.

Kann man nicht trotzdem (wieder) sozialistisch-zionistisch sein?

Trotz all dem, was ich bisher skizziert habe, muss ich zugeben: es gab und gibt versuche, Zionismus mit linker, also sozialistische, Ideologie zu verbinden. Diese waren sogar von großer Bedeutung in den frühen Jahren von Israel, und das trägt definitiv dazu bei, dass manche nur noch relativ-linke Strömungen als „links“ bezeichnet werden.

In Gegensatz zum linksliberalen Zionismus von Meretz und co., mit dem ich, wie erwähnt, aufgewachsen bin, kenne ich den „sozialistischen Zionismus“ nicht ganz so aus der Nähe. Allerdings ist er mir schon oft begegnet, vor allem in Form der „blauen“ Jugendverbände wie „ha-Schomer ha-Tza’ir“ und „ha-No’ar ha-Owed we-ha-Lomed“ (beide sind mit den deutschen Falken verwandt.) Auch die Kibbuzim, jene vorrangig agrarische Kollektivsiedlungen die in den früheren Jahren des Zionismus für den Staatsaufbau sehr wichtig waren, stellten diese Synthese dar.

Ich erlaube mir trotzdem, diese Synthesen nicht ganz gut zu kennen, denn sie tragen ungefähr seit den 1980ern keine wesentliche politische Kraft in Israel mehr. Die politische Parteien der sogenannten „zionistischen Linke“ — die Arbeitspartei und Meretz — schloßen sich in der vergangenen Zeit im Großen und Ganzen dem neoliberalen Konsens an, die Kibbuzim wurden fast alle aufgeteilt und privatisiert, und die sozialistisch-zionistische Synthese lebt nun nur noch ganz am Rande, praktisch nur bei jenen Jugendverbänden und selbst da nicht mehr immer ganz so prominent.

Diese Synthese wird in letzten Jahren trotzdem heftig von links kritisiert, und dieser Kritik möchte ich mich hier kurz anschließen. Denn dieser Synthese fehlt es grundsätzlich an Kohärenz, und sie lässt sich kaum mit anderer sozialistischer Ideologie konsequent vereinen.

Wie kann man Kibbuzim pauschal als „sozialistisch“ bezeichnen, wenn diese sehr oft auf Land gebaut haben, die von palästinensischen Dörfern genommen wurden als diese gewaltsam vertrieben wurden — und deren Leute dann nur noch als niedrig bezahlte Lohnarbeiter ihr ehemaliges Land betreten durften, wenn überhaupt?

Die israelische Wirtschaft baute, vor allem in ihren frühen Jahren aber nicht nur, schlicht und einfach auf kolonialen Verhältnissen: die Leute die mal da waren wurden vertrieben. Zum Teil wurden sie abgeschlachtet, andere durften bleiben, oft allerdings nicht in ihren ursprünglichen Dörfern, sondern in plötzlich überfüllten armen Kleinstädten oder in Flüchtlingslagern. Meistens wurden sie dann in der Wirtschaft und in der Entwicklung des neuen Staates lediglich als niedrig bezahlte Landwirtschafts- bzw. Bauarbeiter eingebunden, während ihre Orte bis heute immer noch zum Beispiel keine ÖPNV-Verbindungen bekommen und auch in jeder anderen Hinsicht vom Staat vernachlässigt werden. Genau wie sonstwo wurde die einheimische Bevölkerung in Armut verdrängt und als billige Arbeitskräfte ausgebeutet, zum Günsten der neu angesiedelten Bevölkerung.

Koloniale Ausbeutung lässt sich nicht wirklich mit sozialismus integrieren. Mann kan nur mal links sein, mal Kolonialist. Es ergibt sich kein „linker Kolonialismus“ sondern nur ein Kolonialismus mit linken Ausreden. So muss ich leider auch, trotz aller dazu gehörende Komplexität, den sogenannten „sozialistischen Zionismus“ beurteilen.

Fazit: zurück zum Punkt

Dieser Text ist schon viel zu lang, also möchte ich als Fazit nur noch kurz meine hier aufgeführte, eher unpopläre Meinung wieder mit dem ursprünglichen Punkt in Verbindung setzen.

Man muss mir nicht ganz oder mal halbwegs in meiner Beurteilung des linken Zionismus zustimmen. Punkt ist, dass diese Diskussion, die ich hier antippe, eine ist, die unter links geprägten Jüd∗innen und insbesondere (Ex-)Israelis heiß diskutiert wird. Und ich finde, deutsche Linken könnten zu dieser Diskussion beitragen, oder zumindest davon profitieren, sie mitzubekommen. Und das alles würden „antideutsche“ Anforderungen einfach verbieten.

Das ist schade, und noch schlimmer, so wird Jüd∗innen faktisch kein Raum in linker Bewegungen in Deutschland eingeräumt. Dieser Raum wird leider in kommenden Jahren immer nötiger, denn in Israel wird es immer schwieriger und gefährlicher zu leben, nochmehr links zu sein, und wir kommen in wachsenden Zahlen hierher. Frage ist nur, ob uns hier auch die volle Teilhabe erwartet, oder eben nicht.

Ursprünglisch erschienen unter https://write.as/meemsaf/nachtrag-kann-man-doch-nicht-links-zionistisch-sein